Primitivsyntax

„Die Konzeption von Filmen geschieht in Gedanken, und soweit Gedanken nicht ohnehin schon den Kategorien von Sprache folgen, findet ihre erste Entäußerung unvermeidlicherweise sprachlich statt, (…) Das entsetzlich Schwierige beim Drehbuchschreiben besteht nun darin, dass man, weil schreibend, zwar unweigerlich von der immanenten Logik der Sprache, ihrer natürlichen Selbstverständlichkeit und einer sich dadurch ergebenden ,allmählichen Verfertigung der Gedanken‘ geleitet wird, dass sich diese Gedankenverfertigung aber in den meisten Fällen als viel zu komplex und untauglich im Sinne der armseligen Filmsprache erweist und man gezwungen ist, unter Aufbietung aller Geisteskräfte eine Art intellektuellen Regressions- und Reduktionsprozess herbeizuführen, um (…) den angemessenen Ausdruck in der Primitivsyntax des Films zu finden.(…) Das bedeutet keineswegs, dass Film ein künstlerisch minderwertiges Ausdrucksmittel sei, und noch weniger bedeutet es, dass man sich erlauben könnte, selber dumm zu sein, um einen Film zu konzipieren. Im Gegenteil, man muss gescheit sein, so gescheit und intelligent und raffiniert wie nur irgend möglich, um in der dummen und dabei so unvergleichlich einleuchtenden Sprache des Films eine Geschichte erzählen zu können. Der Mensch ist ein Wortwesen.(…) Für Bilder besitzt er nur ein rezeptives, kein produktives Organ, und für eine so komplizierte Angelegenheit wie das Erzählen einer Geschichte in der Sprache der Bilder ist sein Gehirn einfach nicht simpel genug strukturiert.“

– Patrick Süskind, 1997 im SPIEGEL, über das Drehbuchschreiben.