Märchen

„Ich werde ein Märchen schreiben über einen Schmied“, sagte Wanja.

Wanja schrieb: „Es lebte einmal ein Schmied…“

„Ein solches Märchen gibt es schon!“, schrie Lenotschka auf.

„Echt?“, sagte Wanja und legte seinen Bleistift nieder.

„Na freilich“, sagte Lenotschka. „Es lebte einmal ein Schmied. Und eines Tages schmiedete er ein Hufeisen, und schwang dabei derart seinen Hammer, dass der Hammer sich vom Griff löste, zum Fenster hinausflog, vier Tauben tötete, die Feuerwarte traf, zur Seite wegflog, das Fenster im Haus des Brandmeisters zerschlug, über den Tisch flog, an welchem der Brandmeister selbst und seine Frau saßen, die Wand im Haus des Brandmeisters durchbrach und auf die Straße hinausflog. Und warf die Laternensäule zu Boden, stieß den Eisverkäufer um, und schlug Karl Iwanowitsch Schusterling gegen den Kopf, der einen Augenblick seinen Hut abnahm, um seinen Nacken zu lüften. Und als er auf den Kopf von Karl Iwanowitsch Schusterling prallte, flog der Hammer rückwärts, stieß abermals den Eisverkäufer um, warf zwei verkrallte Kater vom Dach herunter, kippte eine Kuh um, tötete vier Spatzen, und flog in die Schmiede zurück, und setzte sich gerade wieder auf den Griff, welchen der Schmied noch immer in der rechten Hand hielt. All das ging dermaßen schnell, dass der Schmied nichts bemerkte, und fortfuhr, das Hufeisen zu schmieden.“

Daniil Charms, „Märchen“

A Million Ways to Die in the West

A Million Ways to Die in the West
USA 2014

Wieder eines dieser in schöner Regelmässigkeit aus Hollywood auftauchenden hinreissenden Zauberstücke, bei dem alles am rechten Platz ist – im Gegensatz zu deutschen Filmen, bei denen am rechten Platz zumeist nichts ist – und vor deren erzählerischer Brillanz man vor Demut auf die Knie sinken möchte.

Who am I – Kein System ist sicher

Who am I – Kein System ist sicher
Deutschland 2014

Ich hab mir den Film angeschaut, weil ich gelesen hatte, es handle sich um einen überragenden Thriller. Nachdem ich ihn gesehen habe, muss ich sagen, dass er weder das eine noch das andere ist. Um überragend zu sein, fehlen ihm – wie bei deutschen Filmen üblich – die zwei entscheidenden Eigenschaften Spannung und Tiefe. Und um Thriller zu sein, bräuchte er das namengebende Element, nämlich Thrill. Das korrekte deutsche Wort dafür ist Angstlust. Sie entsteht dadurch, dass der Zuschauer sich mit einer Bedrohungssituation identifiziert. Um das zu erzeugen, ist der Film erzählerisch jedoch ganz falsch angelegt. Das Zitieren von Thrillervorbildern ergibt noch keinen Thriller! Das deutsche Genrekino kommt bei aller Ambitioniertheit auch in diesem Fall nicht über die eklektische Nachahmung von Äusserlichkeiten hinaus. Der Film verfehlt es auf die vom deutschen Film hinlänglich bekannte Weise, sein Publikum zu führen und er bleibt ohne jede inhaltliche Substanz. Er ist gemessen an internationalen Erzählstandards belanglos. Der Film punktet wie im aktuellen deutschen Film üblich mit der Darstellung einer Welt und mit der Imitation vorgefundener Stile. Er bleibt somit bei der ästhetischen Strategie der Werbung stehen, wo ja auch durch die Erweckung des Anscheins, etwas zu sein, was man nicht ist, versucht wird, den Leuten heisse Luft anzudrehen.