Rashomon

Rashomon, Japan 1950

Letzte Woche lief auf ARTE wieder einmal das zeitlos gültige Meisterwerk RASHOMON des grossen Akira Kurosawa. Ich setze im Folgenden voraus, dass dem geneigten Leser der Film bekannt ist.

Es gibt etwas an dem Umgang mit dem Film, das ich schon immer gleichermaßen interessant wie verstörend fand und über das ich heute kurz sprechen möchte: in ziemlich allen Darstellungen, Rezensionen und Kommentierungen des Films wird gesagt, das Thema von RASHOMON sei die Frage nach der Relativität von Wahrheit. Doch eben dem ist ganz und gar nicht so!

Es wird in RASHOMON wohl unzweifelhaft der Frage nach der Wahrheit nachgegangen. Doch handelt es sich bei dem im Film dargestellten Versuch, herauszufinden, was angesichts der völlig unterschiedlichen Darstellungen der Beteiligten tatsächlich geschehen sein mag, nicht um das Thema des Films, sondern um seinen PLOT. Der Zuschauer wird in die Position eines Richters gebracht, der herausfinden möchte, was tatsächlich geschehen ist.

Wäre die Frage nach der Wahrheit nicht der Plot des Films, aber sein Thema, – was ja theoretisch durchaus möglich wäre -, so müsste sie in einem abstrakt-philosophischen Sinn zur Erscheinung gebracht werden. Indes geht es bei der Frage nach der Wahrheit in Kurosawas Meisterwerk nicht um eine philosophische Erkundung über Wesen und mögliche Relativität von Wahrheit, sondern um die Frage nach der KONKRETEN Wahrheit des in Frage stehenden Kriminalfalles. Das ist PLOT! Plot ist immer konkret und was in einem Film konkret ist, ist deshalb auch immer Teil des Plots.

Thema hingegen ist seinem Wesen nach und per definitionem abstrakt. Es ist das, was dem sinnlich Wahrgenommenem – dem Konkreten mithin – als sozusagen übergeordnete allgemeine – also abstrakte – BEDEUTUNG entsteigt. Es ist das, was beim Erzählen konkreter Geschehnisse „gemeint“ ist.

Das sinnlich konkrete Geschehen in RASHOMON nun – die Suche nach der Wahrheit der EREIGNISSE –  wird dazu benutzt, um thematisch etwas ganz anderes zu verhandeln als die Frage nach dem Wesen von Wahrheit und ihrer möglichen Relativität. Der Film beschäftigt sich – und damit den Zuschauer – mit der Frage, ob der Mensch von Natur „schlecht“ sei. Alle Beteiligten erscheinen als lügenhafte Gefangene ihrer tragischen Verstrickungen in Schuld, Scham, Angst und Wahn. Der Film lässt den Zuschauer spekulieren, sowohl über die Motive für das jeweilige Handeln der Beteiligten wie auch über die Gründe für die jeweilige Art der Interpretation dessen, was faktisch geschehen ist.

Und wie es beim guten – also beim poetischen Erzählen – dann so ist und zu sein hat, wird das Thema am Ende von RASHOMON in einer Idee aufgelöst: mag auch der Mensch und jedes einzelne seiner Exemplare, so lässt uns der Film erfahren, in seinem Handeln „schlecht“ sein, so besitzt er doch die Gabe der Liebe. Das ist RASHOMONS beglückende und universelle Idee von der condition humaine. Der Film HANDELT von der Suche nach einer Wahrheit, aber er BE-handelt die Frage nach der Moralität des Menschen.

Seltsam, dass das nicht gesehen wird, oder? Die Gründe dafür herauszufinden wäre interessant. In ihnen kann man Antworten finden auf die Frage, warum es beim Umgang mit Film so viele schwer wiegende Missverständnisse gibt.

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